Prolog
Irland
Über
das Land war die Nacht hereingebrochen und Nebelschwaden umgaben das Dorf. Nur
schemenhaft konnte sie die kleinen Häuser in der Ferne erkennen. Als das
Mädchen in den schmalen Waldweg einbog, war der Boden unter ihren Füßen
matschig und an den teuren neuen Stiefeln klebte das nasse Laub.
Sie
trug keine Uhr bei sich, aber ihr Zeitgefühl sagte ihr, dass es schon weit nach
Mitternacht sein musste. Höchste Zeit sich zurück ins Bett zu schmuggeln, bevor
jemand ihren nächtlichen Ausflug bemerken würde.
Die
Sperrstunde war längst vorbei, aber wozu waren diese Klassenfahrten sonst gut,
wenn nicht, um nach dem langweiligen Tagesprogramm noch etwas Spaß zu haben.
Leider
war Spaß auf dieser Reise ein dehnbarer Begriff, wofür der „Heimatabend“ ein
gutes Beispiel abgab. Die Einzigen, die sich dabei prächtig amüsiert hatten,
waren ihre Lehrer gewesen.
Zu
ihrem Glück gab es im Nachbarort eine ziemlich große Disco, die ihr im
Nachhinein betrachtet, wirklich den Abend gerettet hatte. Vielleicht war es aber
auch der nette, gut aussehende Junge gewesen, dessen Anwesenheit ihr die
letzten Stunden so versüßt hatte.
Noch
in der Erinnerung an ihren Traumprinzen schwelgend näherte sie sich langsam der
Abzweigung, die direkt zum Cottage führte.
Das
kleine Landhaus war erst vor ein paar Jahren modernisiert worden und hatte
mittlerweile nicht mehr viel von dem alten irischen Charme an sich, den es
einmal besessen haben musste, als es noch von seinen ursprünglichen Besitzern
genutzt worden war.
In
den Fenstern brannte wie erwartet kein Licht mehr und so ging sie unbeirrt auf
die Verandatür zu, die sie für ihre Rückkehr vorsorglich angelehnt gelassen
hatte.
Wenige
Schritte vor dem Ziel wurden ihr das nasse Gras und die schlammige Erde zum
Verhängnis. Sie rutschte schwungvoll aus, sodass ihr Rücken unsanft mit dem
Waldboden Bekanntschaft schloss.
Als
sie sich etwas unbeholfen aufgerappelt und sich notdürftig den Morast von ihrer
Kleidung gewischt hatte, nahm sie ein leises Lachen hinter sich wahr.
Vor
Schreck wäre sie beinahe erneut gefallen, schaffte es aber im letzten Moment
auf den Beinen zu bleiben.
Sie
fuhr herum.
Durch
die Dunkelheit war nichts zu erkennen und sie begann sich verunsichert im Kreis
zu drehen.
„Das
ist nicht lustig!“, rief sie, bevor ihr klar wurde, dass sie damit nur das
ganze Haus aufwecken würde. Also biss sie die Zähne zusammen und versuchte in
der Dunkelheit etwas zu erkennen. Der Wald schien friedlich und menschenleer.
Blöde Scherze waren auf Klassenreisen bekanntlich an der Tagesordnung und es
erschien ihr das Sinnvollste zu sein einfach schnell im Haus zu verschwinden
und den Vorfall zu ignorieren. Schnell hob sie ihre Handtasche auf, die ihr bei
dem Sturz von der Schulter gerutscht war, und lief diesmal auf den Boden
achtend weiter. Da war das Lachen schon wieder, begleitet von dem Rascheln von
Laub, das von irgendetwas oder jemandem aufgewirbelt wurde.
Adrenalin
schoss durch ihren Körper und sie fuhr blitzartig herum. Gerade rechtzeitig um
zu sehen, wie eine Gestalt aus den Nebeln auftauchte.
Beinahe
hätte sie geschrieen, doch dann erkannte sie ihn.
„Was
tust du denn hier? Du hast mich ganz schön erschreckt!“ zischte sie den
hübschen Jungen in möglichst gedämpften Ton an.
„Lauf.“,
sagte er.
„Was?
Ich glaube du spinnst!“ keifte sie leise, aber so das er sie hören konnte „Was
soll der kranke Schei…“
Ihre
Stimme quittierte den Dienst, als sie in sein Gesicht sah, das jegliche
Schönheit verloren hatte.
„Deine
Augen“, brachte sie ängstlich hervor.
„Lauf!“,
forderte er sie erneut auf und sie tat es. Sie rannte um ihr Leben.
Polen
Kurz
vor der polnischen Grenze lag ein kleiner Ort. Er gehörte offiziell noch zur
deutschen Seite, aber um ins Nachbarland zu kommen benötigte man mit dem Auto
keine zwanzig Minuten.
Das
Dorf war ein ziemlich verschlafenes Nest, weswegen die Jugendlichen immer froh
waren, wenn sich irgendwo auch nur der kleinste Hauch von Spaß und Abenteuer
andeutete.
Viele
verließen sobald das Wochenende vor der Tür stand den Ort und fuhren entweder,
wenn sie genug Geld verdienten, weiter ins Landesinnere um sich dort in den
Großstädten ins Nachtleben zu stürzen, oder wenn sie knapper bei Kasse waren,
nach Polen hinüber. Dort gab es auch jede Menge Diskotheken, aber mit dem
entscheidenden Unterschied, dass die Eintritts- und Getränkepreise hier viel
erschwinglicher waren.
Das
war mitunter auch ein Grund gewesen, warum die Veranstalter das Gothic Festival
in einer Industriestadt in Polen ausrichteten. Hier entging man der deutschen
Bürokratie, was sich wiederum auch sehr positiv auf die Gewinne auswirkte.
Den
Reisenden in dem roten VW-Golf, der kurz vor Sonnenuntergang über die
Landstraße brauste, war dieser Umstand aber herzlich egal. Die Teenager wollten
sich die nächsten zwei Tage einfach nur gut amüsieren und sich keine Gedanken
über Vorschriften machen.
Zwischen
diversen Campingutensilien und Essensvorräten saßen der Fahrer, ein neunzehnjähriger
blonder Mann und seine drei Mitreisenden: zwei pubertierende, sechzehnjährige
Mädchen und ein weiter Junge, die offensichtlich alle eine Menge Spaß hatten.
Laute Musik wummerte aus den Boxen und eine halb volle Wodkaflasche wurde
herumgereicht.
Bald
würden sie Legnica erreichen und auf den provisorisch eingerichteten
Campingplatz fahren, um dort erst einmal in Ruhe auszupacken. Anschließend
würde es dann Zeit sein sich auf den Weg zum Eröffnungskonzert zu machen.
Der
hübsche Blonde war leicht nervös, als er auf den abgelegenen Platz einbog und
ausstieg. Rastlos lies er seinen Blick umherschweifen, bis er sie entdeckte.
Die
langen, roten Locken und ihr Lächeln kannte er bereits von ihrem Foto. Er hatte
unnötig Angst gehabt, dass sich seine schöne Internetbekannte als eine
Mogelpackung entpuppen könnte. Besonders ihre grünen Augen hatten es ihm auf
ihren Bildern angetan gehabt, aber davon konnte er im Moment wenig erkennen.
Nicht nur weil er viel zu weit entfernt stand, sondern auch wegen der großen
dunklen Sonnenbrille, die ihr Gesicht dominierte.
Eigentlich
ein ziemlich skurriler Anblick, da die Sonne fast schon untergegangen war.
Seine
Freunde waren inzwischen ausgestiegen und hatten angefangen, die Zelte aus dem
Auto zu räumen und nach einem guten Platz Ausschau zu halten.
Das
Mädchen ging langsam auf ihn zu und als sie vor ihm stand und zu ihm hoch
lächelte, stockte ihm fast der Atem. Sie war so unglaublich schön. Kein Foto
konnte auch nur im Mindesten ihre Schönheit wiedergeben.
„Hi.“,
sagte sie strahlend und zog dabei ihre Sonnenbrille von der Nase, aber nicht
ohne ein paar Mal blinzeln zu müssen, „Ich bin Amber.“
„Hallo
A-A-Amber, ich b-bin Mike. Wahnsinn du bist wirklich…äh ich meine du bist
wahnsinnig hübsch.“ brachte er verlegen hervor.
Netterweise
überging sie sein Gestammel und hakte sich wie selbstverständlich bei ihm
unter.
„Freut
mich, dass ich dir gefalle, Mike“, sagte sie und lachte ihn dabei fröhlich an.
Mit
einem debilen Grinsen auf dem Gesicht und der rothaarigen Schönheit an seiner
Seite winkte er noch schnell seinen Freunden, die gerade mit ein paar
Zeltstangen kämpften, zu und lies sich dann von seiner Verabredung in Richtung
Festplatz ziehen.
Im
Laufe des Abends verflog die Unsicherheit seiner Begleiterin gegenüber und sie
feierten ziemlich ausgelassen und feuchtfröhlich bis in die frühen
Morgenstunden.
Irgendwann
beschlossen die Beiden einen romantischen Spaziergang in den angrenzenden Park
zu machen. Der kleine Ausflug erinnerte aber doch eher an ein Fangenspielen, da
Amber voller Übermut war und vor Mike immer weglief und dabei lauthals
kicherte.
Offensichtlich
hatte sie zu viel getrunken und er machte sich Sorgen, ob er sie nicht zu ihrem
Zelt bringen sollte. Als er sich endlich dazu durchgerungen hatte sich für
heute von ihr zu verabschieden, war sie aus seinem Blickfeld verschwunden und
auch ihr Lachen war nicht mehr zu hören.
„Amber!“,
schrie er besorgt in die Dunkelheit, „Komm schon, das ist nicht lustig! Lass uns
zurückgehen. Wir sind schon ziemlich weit vom Festival entfernt!“
Doch
es blieb still.
„Amber!“,
brüllte er wieder, diesmal mit einem leicht ärgerlichen Unterton, „Mir rechts!
Ich will wieder zum Konzert, entweder du kommst mit oder ich lass dich hier!“
Wieder
blieb es still.
Dabei
war er sich sicher, dass sie sich nur versteckt hatte und abwartete was er tun
würde. Aber für das Spielchen war er zu schlau. Er tat so, als ob er gehen
würde und hoffte, dass sie dann endlich aufhören würde mit dem Unsinn.
„So,
du glaubst also, ich spiele dumme Kinderspiele?“, sagte sie höhnisch, drei
Meter von ihm entfernt an einen Baum gelehnt.
„Na
endlich da bist du ja“, seufzte er erleichtert, ohne ihrem frostigen Ton eine
Bedeutung zuzumessen.
Er
wollte auf sie zugehen, doch sie brachte ihn mit einer abwehrenden Handbewegung
zum Stehen.
„Was
soll das?!“, schoss es ihm durch den Kopf, „und warum ist sie plötzlich nicht
mehr am Herumtorkeln und kichern?“ Er sah verwirrt aus.
Plötzlich
stand sie neben ihm und begann ihn zu mustern, „Armes verwirrtes Schäfchen. Ist
deine Verabredung doch nicht so betrunken, wie es zunächst schien?“ Sie lachte.
„Was
ist denn auf einmal los mit dir, w-wir h-haben uns d-doch…“, stotterte er.
„W-w-was
h-h-haben wir?“, äffte sie ihn nach und grinste dabei. Die Verletzung, die ihm
ins Gesicht geschrieben stand, ignorierte sie und sprach ungerührt weiter:
„Ich
erklär dir jetzt mal was Mikie und dann schauen wir, ob du das mit deinem
Spatzenhirn auch verstehst. Eigentlich wollte ich dich ja erst morgen hier her
bringen, aber deine Gedanken sind noch unerträglicher als dein Gerede! Und bevor
du fragst, ja ich kann deine Gedanken hören und sie auch kontrollieren, also
wäre weglaufen zwecklos, aber soweit ich in dir lesen kann hast du das sowieso
nicht vor.“ Sie lachte wieder.
„Du
hast vorhin auf dem Parkplatz wie du nach mir Ausschau gehalten hast Angst
gehabt ich könnte nicht die sein, für die ich mich ausgebe. Manchmal ist der
erste Gedanke der Richtige. Ich bin nicht, was ich vorgebe zu sein, weder eine
Schülerin, noch ein kleines polnisches Mädchen, das dich toll findet. Oder hast
du schon mal eine Polin mit Namen Amber kennengelernt? Na?“ Sie sah ihn
herausfordernd an und er schüttelte unfähig etwas zu sagen einfach nur seine
blonde Mähne.
„Dachte
ich mir“, kicherte sie zufrieden. „Denken scheint nicht deine Stärke zu sein. Jedenfalls
finde ich kein Mensch sollte dumm sterben und deshalb verrate ich dir jetzt ein
kleines Geheimnis“, säuselte sie, aber es klang nicht mehr so liebreizend wie
vorhin, sondern vielmehr bösartig.
In
selbstverliebten Ton sprach sie weiter: „Ich bin Engländerin. Zumindest war ich
das ursprünglich und ich war wirklich einmal sechzehn. Das war im Jahre 1624
als ich beinahe an der Syphilis verreckt wäre. Gestorben bin ich dann aber
wiedererwartend nicht an der Krankheit, sondern an dem Kerl, der mich erst in
diese Situation gebracht hatte. Na jedenfalls…“
„Warum
erzählst du mir das?“, frage er resigniert und unfähig sich zu bewegen.
„Schtttttt!
Ich hasse Unterbrechungen“, blaffte sie ihn wütend an. „Ich erzähle dir nur die
Wahrheit. Ich finde du solltest wissen, was bald auch mit dir geschieht“ und
wieder gab sie dieses Lachen von sich, das er nicht mehr hören wollte.
„Danke
Mike, es ist nett, so etwas von seinem Date zu denken. Wenn ich dich langweile,
kann ich dir auch gleich die Kehle rausreißen und dir den Rest ersparen?“ Sie
zog eine Augenbraue nach oben und musterte ihn. „Dachte ich mir schon. Sterben
will keiner. Also ich mache es kurz. Das war
mir früher bei meinen Kunden auch immer am liebsten. Ich bin über vierhundert
Jahre alt, sehe dabei aber keinen Tag älter als sechzehn aus und liege nicht
tot und verwest in einem Sarg. Also was bin ich?“, fragte sie ihn
herausfordernd.
Mike
konnte nur den Kopf schütteln. „Doch Schäfchen, du weißt es. Du hast schon immer
an sie geglaubt.“ Fast zärtlich strich sie ihm eine Strähne seiner blonden Haare hinters Ohr.
„Wirst
du mich töten?“, frage er leise.
„Ja
werde ich, aber du darfst dir aussuchen ob du danach, wie ich wieder aufstehst,
oder ob du ein stinkender Haufen Fleisch bleibst, so wie deine kleinen Freunde,
wenn ich mit ihnen fertig bin. Deine Entscheidung.“
Türkei
Der
Sommerurlaub an der türkischen Riviera war in den letzten Jahren zu einer Tradition
geworden. Doch dieses Mal war es anders. Offiziell war sie gar nicht hier. Ihre
Familie glaubte, sie hätte in Frankfurt auf dem Zentralfriedhof ihre letzte
Ruhe gefunden. Noch immer verfolgten sie schreckliche Träume, in denen sie
wieder in dieser engen stickigen Kiste lag und aus Leibeskräften um Hilfe
schrie. Das Erwachen war das Schlimmste für sie gewesen. Orientierungslos,
verängstigt und was das Wichtigste war: tot.
Wie
ihr das passieren konnte, wusste sie bis heute nicht. Anstelle ihrer
Erinnerungen an den letzten Tag ihres normalen Lebens, war ein schwarzes Loch
getreten. Sie wusste nichts mehr. Weder, dass sie mit ihrem Mann gemeinsam
gefrühstückt haben musste, noch von dem Vormittag in der Redaktion, an dem sie
Hals über Kopf gekündigt haben soll und auch an das, was danach geschehen sein
musste, hatte sie keine Erinnerung mehr. Nur das Ergebnis kannte sie: Sie war
ein Parasit und eine Mörderin. Inzwischen hatte sie unzählige Menschenleben
ausgelöscht und viele Weitere verletzt.
Ein
wahres Monster war aus ihr geworden, aber Reue konnte sie deswegen nicht
empfinden.
Auch
nicht bei dem, was sie jetzt im Begriff war zu tun.
Sie
schob sich die Sonnenbrille auf die Nase und kontrollierte den Halt ihres
Kopftuches. Alles saß perfekt und nicht eine einzige Strähne ihres rabenschwarzen
Haares war zu sehen.
Ihre
Kleidung war der der einheimischen Frauen angepasst und so fiel sie auch
niemandem auf, als sie aus der kleinen schattigen Gasse hinaus auf den
Marktplatz trat. Keine zehn Meter vor ihr schlenderte eine Frau mittleren
Alters mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm die Straße entlang und sah sich
interessiert die vielen bunten Tücher an den verschiedenen Ständen an. Ihr eigenes
schwarzes Sommerkleid bildete dazu einen ziemlich starken Kontrast. Auch das
Kleinkind trug Shorts und T-Shirt in gedeckten Farben, wobei es sicher noch
nicht verstehen konnte, warum man ihm diese Sachen angezogen hatte. Ihre Mutter
trauerte also immer noch um sie, aber das würde sich bald ändern. In Kürze
würden sich alle Probleme, die sich angesammelt hatten, in Luft auflösen und
ihr altes Leben würde sie nicht mehr quälen.
Ihre
Zielobjekte bewegten sich nun auf das Ende des Marktes zu und traten den
Rückweg in das große Ferienhaus, das die Familie jedes Jahr mietete, an.
Sie
folgte ihnen in sicherem Abstand und lehnte sich, nachdem die Großmutter und
das Mädchen in der Eingangstür verschwunden waren gegen einen großen Baum, der
in unmittelbarer Nähe des Hauses stand. Dort wartete sie geduldig auf den
Sonnenuntergang.
Am
nächsten Morgen weckte der Schrei der Putzfrau die umliegenden Häuser.
Das
alte Ehepaar fand man blutüberströmt am Rand des Pools im Garten, ihr
Schwiegersohn und seine neue Frau, die zweite Tochter der Beckers, lagen mit
herausgerissenen Kehlen in ihrem Schlafzimmer im ersten Stock und dem
Kleinkind, der Tochter des Paares war das kleine Genick gebrochen worden. Sie
lag noch in ihrem Kinderbettchen, als man sie fand.
Die
Polizei nahm an, dass es sich um eine Beziehungstat handelte. Der Täter musste
regelrecht von Hass zerfressen gewesen sein, um so etwas tun zu können.
Sie
schreckte unerwartet heftig aus dem Schlaf und ein gellender Schrei erfüllte
den Raum. Die Zimmertür würde aufgerissen und schnelle Schritte näherten sich
ihr. Jemand setzte sich neben sie auf das große Himmelbett, packte sie bei den
Schultern und schüttelte sie heftig. „Yellena! Bitte komm zu dir! Was ist denn bloß
passiert?!“, flehte die Stimme.
Langsam
kehrte die Realität um sie herum zurück. Yellena erkannte, dass sie sich wieder
in ihrem Zimmer auf dem Landsitz ihrer Großmutter befand, die mit besorgtem
Gesichtsausdruck vor ihr saß und sie immer noch mit eisernem Griff umklammert
hielt.
„Schon
gut Granny“, brachte sie mit tränenerstickter Stimme hervor, „Mir geht es gut.“
„Wie
viele hast du heute Nacht gesehen?“, wollte die ältere Frau wissen und zog ihre
Enkelin dabei tröstend in ihre Arme.
„Zehn
Opfer“, brachte sie leise hervor, „das Jüngste war gerade zwei Jahre alt.“
Ihre
Stimme versagte und die Tränen verschleierten ihr erneut die Sicht.
Kapitel
1
Marianne
Hollingsworth stand gedankenverloren am Küchenfenster und trank ihren Kaffee.
Der
Wetterbericht hatte nicht gelogen. Es war ein wunderschöner, sonniger Tag und
bereits jetzt um halb acht am Morgen war es draußen angenehm warm.
Eigentlich
hatte sie sich heute endlich der Pflege ihres Gartens widmen wollen, aber der
Zustand ihrer Enkelin machten ihr einen Strich durch die Rechnung.
Yellenas
Albträume wurden immer schlimmer und sie litt zunehmend unter den Bildern. Die Schreie
mitten in der Nacht und das Weinen gaben weiteren Grund zur Besorgnis. Die Gabe
verschlimmerte sich zunehmend und Marianne hatte keine Ahnung, wo das noch
hinführen sollte.
Sie
hoffte inständig, dass das Ganze bald ein Ende finden würde, aber für den
Moment waren ihr die Hände gebunden.
Seufzend
stellte sie ihre Tasse auf dem Küchentresen ab und begann das gemeinsame
Frühstück vorzubereiten.
Zum
Erbe ihres verstorbenen Mannes gehörte neben dem großen Herrenhaus und einem
beachtlichen Vermögen zwar auch ein ganzer Hofstaat von Bediensteten, aber aufgrund
ihrer Lebensumstände verzichtete sie mittlerweile auf einen Großteil des Personals.
Nur Christian, den Butler hatte sie im Haus behalten. Er war der Familie
Hollingsworth seit mehr als vierzig Jahren treu ergeben und Marianne vertraute
ihm blind.
Um
das sonntägliche Frühstück mit ihrer Enkelin kümmerte sie sich trotzdem gerne
selbst. So wusste sie, dass alles Wichtige auf dem Tisch stand, damit Yellena
einen guten Start in die Woche haben würde. Bei dem Gedanken huschte ein
Lächeln über das Gesicht der alten Dame. Ihre Enkelin war mittlerweile eine
schöne junge Frau geworden und längst kein Kind mehr. Für ihre Großmutter würde
sie trotzdem immer die schüchterne Fünfjährige sein, die mit ihrem kleinen
Köfferchen und ihrem Stoffschweinchen eines Tages vor ihrer Tür gestanden hatte.
Seitdem hatte sie das Mädchen groß gezogen. Ihre Tochter hatte leider nicht
sehr viel Interesse an ihrem Kind gezeigt, woran Marianne sich teilweise selbst
die Schuld gab. Sie hatte ihre Tochter sehr früh in die Ehe mit dem Sohn eines
befreundeten Unternehmers gedrängt und auf eine schnelle Familiengründung der
beiden gepocht. Am Anfang war es schwer für sie gewesen, dass Andrea nichts
mehr von ihr und dem eigenen Kind wissen wollte, aber sie hatte es schließlich
akzeptiert und auch Yellena hatte nach einiger Zeit aufgehört, nach ihrer
Mutter zu weinen.
Heute
gab sich die alte Dame besonders viel Mühe eine idyllische Atmosphäre zu schaffen.
Ihr Gefühl sagte ihr, dass sie ihr Enkelkind auch bald verlieren würde. Sie
wollte die ihnen noch verbleibende Zeit so gut es ging auskosten.
Yellena
verließ die Dusche, ohne den Wasserhahn überhaupt angestellt zu haben. Die
junge Frau war immer noch völlig verstört von dem, was sie in ihrem Traum gesehen
hatte.
Am
schlimmsten war die Gewissheit, dass diese Morde wirklich geschehen waren.
Sie
konnte nicht sagen, woher sie diese Sicherheit nahm, aber sie wusste es einfach.
Diese Nacht hatten wieder Menschen ihr Leben verloren und wieder hatte sie nur
zusehen können.
Allerdings,
so sagte sie sich mit einem tiefen Seufzen, sollte sie sich langsam an diese
Träume gewöhnt haben. Schließlich waren sie seit mehr als einem halben Jahr
Teil ihres Lebens. Sie waren ihr dunkles Geheimnis, von dem außer ihr, nur ihre
Großmutter wusste. Sie hätte gerne mit jemandem darüber gesprochen, aber die
Angst in einer psychiatrischen Anstalt zu enden war zu groß. Unbewusst griff
sie nach der Haarbürste, die auf der Kommode lag, und begann sich die schwarzen
Locken zu kämmen. Dabei kreisten ihre Gedanken weiter um ihre seltsame Gabe.
Anfangs
hatte sie nur fetzenartige Bilder gesehen, an die sie sich am nächsten Morgen nicht
einmal richtig erinnern konnte. Die nur für ein paar Stunden ein schales Gefühl
zurückgelassen hatten, aber über die Monate hinweg hatten sich immer mehr
Erinnerungen den Weg in ihr Bewusstsein gebahnt, die sie jetzt zunehmend
quälten. Die letzte Nacht war allerdings beispiellos gewesen. Sie hatte sie
gespürt. Nicht die Angst und die Schmerzen der Opfer, wie es bisher gewesen
war. Nein sie hatte die Empfindungen der Mörder geteilt. Das war es, was ihr
noch viel mehr zusetzte, als die Tatsache von Mordopfern zu träumen.
Unachtsam
warf sie die Bürste in den offenen Koffer, der auf dem großen, taubenblauen Himmelbett
stand. Nach kurzer Inspektion des Kleiderschranks entschied sie sich für einen
weißen Marlene Hosenanzug von ihrem Lieblingsdesigner und ein Paar dazu
passende Pumps.
Da
sie von Natur aus eine wunderschöne blasse Haut besaß, bestand ihr Make-up
lediglich aus etwas Lippenstift und Kajal.
Nachdem
sie mit ihrem Anblick einigermaßen zufrieden war, warf sie die Kosmetiksachen
ebenfalls achtlos zu ihrem übrigen Gepäck.
Diese
Bilder wollten einfach nicht aus ihrem Kopf verschwinden.
Eines
war sicher, wenn sie nicht bald eine Lösung finden würde, würde sie wirklich
noch den Verstand verlieren. .
Fest
entschlossen klappte sie ihren Koffer zu und verließ das Zimmer.
Gedankenverloren
stellte die alte Dame den Brotkorb und den Obstsalat auf den Tisch.
Gerade,
als sie sich daran machen wollte die Lieblingsmarmelade ihrer Enkelin aus dem
Kühlschrank zu holen, stürmte diese in die Küche.
„Ich
bin abreisefertig“, verkündete sie knapp.
Marianne
wäre vor Schreck beinahe das Glas aus der Hand gerutscht.
„Auch
dir einen guten Morgen“, entgegnete ihr die Großmutter mit einem säuerlichen
Unterton.
Yellena
biss sich auf die Unterlippe, „Verzeih meine Unhöflichkeit. Ich würde jetzt
aber wirklich gerne abreisen. Morgen ist Semesterbeginn und ich muss mich heute
Nachmittag noch mit der Dekanin wegen des Wohltätigkeitsdinners treffen.“
„Lüg
deine Großmutter nicht an Yellena! Dein Termin ist erst am Abend.“
„Ja
ist er, aber mir fällt die Decke auf den Kopf Granny. Ich muss hier raus und
brauche Zeit zum Nachdenken“, gestand sie resigniert.
Marianne
erkannte, wie schlecht es ihrer Enkelin ging und traf eine schnelle
Entscheidung:
„Das
kann ich sehr gut verstehen mein Schatz. Ich sage Christian er soll deinen
Wagen kommen lassen und deine Koffer herrichten.“
„Meine
Sachen sind bereits gepackt.“, lies sie ihre Großmutter wissen und wandte sich
zum Gehen.
„Hiergeblieben
junge Dame! Du setzt dich jetzt sofort an den Tisch und wir frühstücken
zusammen. Danach kannst du von mir aus dieses Haus verlassen, aber erst dann.“
Die
Endgültigkeit in der Stimme ihrer Großmutter lies Yellena keine Wahl. Sie
setzte sich widerwillig an den Küchentisch und goss sich eine Tasse Tee ein, um
dann lustlos darin herumzurühren.
Marianne
stellte Ihrer Enkelin das Marmeladenglas vor die Nase und setzte sich dann
ebenfalls an die Frühstückstafel.
Sie
selbst nahm sich reichlich von dem Obstsalat und blickte dann besorgt auf den
immer noch leeren Teller ihrer Enkelin.
Diese
starrte wie hypnotisiert in ihre Teetasse. Marianne griff beherzt in den
Brotkorb und steckte zwei Scheiben Weißbrot in den Toaster um sie anschließend
großzügig mit der selbstgemachten Erdbeermarmelade zu bestreichen. Als sie mit
ihrem Werk zufrieden war, legte sie Yellena die Toastbrote auf ihren Teller und
widmete sich dann ihrem eigenen Frühstück.
„Danke
Grandma, aber ich habe keinen Hunger.“
„Du
isst das jetzt. Vorher lasse ich dich nicht aus dem Haus.“
„Ich
bin kein Kind mehr und ich glaube ich kann langsam selbst entscheiden, wann und
was ich esse“, entgegnete sie trotzig.
Marianne
Hollingsworth riss endgültig der Geduldsfaden: „Yellena! Anstatt mit mir zu
streiten, solltest du einfach dein Frühstück genießen. Du wirst bis heute Abend
eh nichts mehr zu dir nehmen, wie ich dich kenne. Also möchte ich wenigstens
sicherstellen, dass du eine richtige Mahlzeit am Tag zu dir nimmst:“
Das
Blitzen in den Augen ihrer Großmutter verriet Yellena, dass sie keine Chance
hatte, diese Auseinandersetzung zu gewinnen. Widerwillig nahm Yellena das erste
Marmeladenbrot vom Teller und biss lustlos hinein. Eine halbe Stunde später war
das Frühstück endlich offiziell beendet und während ihre Großmutter das
schmutzige Geschirr abräumte, lief Yellena noch einmal ins Arbeitszimmer um die
Unterlagen für das Gespräch mit der Dekanin zusammenzusuchen.
Auf dem Rückweg begegnete sie dem Butler im Flur, der gerade ihr Gepäck an den Chauffeur übergab.
„Madame,
ich habe mir erlaubt nach Anweisung von Misses
Hollingsworth Ihnen einen Proviantkorb zusammenzustellen“, lies er Yellena
ungefragt wissen. „Ich habe es an Ihren Fahrer übergeben. Ihre Großmutter
möchte Sie noch einmal sehen bevor sie das Haus verlassen.“ Er deutete eine
Verbeugung an und verschwand.
Yellena
fand Marianne draußen im Garten vor. Ihre Großmutter jätete gerade das Unkraut
aus ihren Blumenbeeten. Für einen Moment blieb die junge Frau an der Verandatür
stehen und beobachtete die vertraute Szene, die sie seit Kindertagen kannte. Früher
hatte sie ein eigenes kleines Stück Land ganz nach ihren Vorstellungen
bepflanzen dürfen. Es lag am anderen Ende des Grünstücks. Heute war es von
Wildblumen überwuchert. Sie hatte sich seit Jahren nicht mehr darum gekümmert.
Sie
hatte sich seit ihrer Ankunft am Freitagabend vor diesem Gespräch gefürchtet.
Yellena wollte ihre Großmutter nicht verletzen, aber sie musste jetzt an sich
denken.
Die
alte Dame wirkte müde als sie die Arbeitshandschuhe beiseite legte und auf ihre
Enkelin zuging. Sie nahm sie vorsichtig in ihre Arme und wünschte ihr eine gute
Reise.
Yellena
wusste, dass es ihre letzte Chance war, reinen Tisch zu machen.
„Ich
werde nächstes Wochenende mit den Gérads an die Côte d’ Azur fahren. David und
ich feiern mit seiner Familie unsere Verlobung“, begann sie vorsichtig, bis sie
die finstere Miene ihrer Großmutter bemerkte. „Keine Sorge, es ist nichts Offizielles.
Ich halte mich an mein Versprechen, die Verlobung erst nach diesem Semester vor
der Öffentlichkeit und der Presse bekannt zu geben. Trotzdem denke ich etwas
Abstand tut uns gut Granny.“ Sie sah die andere Frau traurig an. „Ich ertrage
diese Träume nicht mehr und ich halte auch deine besorgten Blicke nicht mehr
aus“, gestand sie leise. „Ich liebe dich Grandma.“, damit drückte sie ihrer
Großmutter einen Kuss auf die Wange und eilte dann über den Rasen zur Auffahrt,
wo ihr Chauffeur bereits auf sie wartete.
Marianne
schob sich eine widerspenstige graue Strähne aus dem Gesicht und blickte ihrer
Enkelin nachdenklich hinterher. Sobald Yellenas Limousine das Grundstück
verlassen hatte, zog die alte Dame ihr Mobiltelefon aus der Hosentasche und
drückte auf die Wahlwiederholung.
„Ja?“,
meldete sich ein tiefer Bariton am anderen Ende der Leitung.
„Sie
hat mein Haus soeben verlassen“, teilte sie ihm mit. „Ich glaube nicht, dass
ich sie wiedersehen werde.“
„Ihr
Zustand hat sich also verschlechtert?“, hakte er nach.
„Sie
geht durch die Hölle“, gestand Marianne bitter.
„Du
wusstest, dass der Tag kommen würde. Hab ein wenig Vertrauen zu mir. Es hat
sich nichts geändert.“
„Du
irrst dich, es hat sich alles verändert.“
Damit
beendete sie das Telefonat.
Und
zum ersten Mal, seitdem sie Deutschland als junges Mädchen verlassen hatte,
bereute sie den Pakt, der seitdem ihr Leben bestimmte, denn nicht sie würde die
Rechnung dafür bezahlen, wie sie immer geglaubt hatte. Es war Yellena, die für
diese Sünden büßen würde.
Kapitel
2
Yellena
lehnte sich in ihrem Sitz zurück und versuchte die Traurigkeit abzuschütteln.
Sie wollte endlich zur Ruhe kommen.
Die
nächsten vier Stunden würde sie eh nichts tun können, also blieb ihr nichts
weiter übrig als die Zeit, die die Fahrt zur Universität beanspruchen würde, so
sinnvoll wie eben möglich zu gestalten.
Ihr
morgendliches Horrorerlebnis gedanklich beiseite schiebend, zog sie ihr
Mobiltelefon aus der neben ihr liegenden schwarzen Aktentasche und begann
darauf herumzutippen. Der Termin mit der Dekanin, zwecks des alljährlichen
Wohltätigkeitsballs, war für achtzehn Uhr vorgemerkt.
Mehr
als genug Zeit also, die Gästeliste nochmals zu überarbeiten und die
Menüvorschläge der Cateringfirma durchzusehen. Bei dieser Gelegenheit konnte
sie auch gleich noch eine Vorauswahl der Muster für die Einladungskarten
treffen. Das würde sie wenigstens von ihren eigenen Problemen ablenken. Das
Fest sollte bereits in vier Wochen stattfinden und es gab noch jede Menge
Arbeit, die sich leider nicht von alleine tat.
Aber
heute war sie darüber ganz froh. Ihre Albträume mochten sie zwar stark
belasten, aber sie durfte nicht zulassen, dass die Angst vor ihnen ihr Leben
bestimmte.
Vor
allem nicht in der jetzigen Situation. Sie befand sich im letzten Semester
ihres Politikstudiums, hatte bereits ein lukratives Jobangebot aus den USA
erhalten und seit drei Monaten war sie mit David Gérard verlobt. Ihre Beziehung
zu dem französischen Industrieerben wurde von ihrer Familie wohlwollend
beachtet. Einzig ihre Großmutter hatte sich entschieden gegen diese Verbindung
ausgesprochen und sich erst wieder beruhig als Yellena versprochen hatte die
Heirat nicht vorschnell über die Bühne zu bringen. Sie liebte ihre Granny, aber
ab und zu verhielt sich die alte Dame in ihren Augen doch etwas seltsam.
Allein
das Frühstück war wieder ein Paradebeispiel dafür gewesen. Niemand sonst machte
so einen Staatsakt daraus, wenn Yellena eine Mahlzeit ausfallen lies, wie
Marianne Hollingsworth. Und wehe sie aß nicht immer brav von der eigens eingekochten
Erdbeermarmelade ihrer Großmutter, dann bekam diese fast einen Anfall.
Noch
etwas abgelenkt von den vorbeifliegenden Ländereien kramte sie die Mappe mit
Ballvorbereitungen aus ihrer Tasche hervor und begann die Adressenliste zu
studieren. Eine Stunde später hatte sie zumindest die Sitzordnung für das
Bankett erstellt und angefangen die Muster für die Tischdekoration
durchzusehen.
Dann
kam ihr eine bessere Idee, um sich abzulenken. Sie lies die Trennscheibe zwischen
Fahrerkabine und Passagierraum herunterfahren und lehnte sich dann provozierend
über Benjamins Schulter. Der blonde Hüne war wie Yellena Anfang zwanzig, und
obwohl sie aus verschiedenen Gesellschaftsschichten stammten, verstanden sie
sich äußerst gut. Er war seit drei Jahren ihr Chauffeur, aber sie hatten sich
schon auf der Public School gekannt.
„Wir
sind viel zu früh dran. Was hältst du davon an der nächsten Abzweigung
abzufahren?“, lockte sie ihn.
Er
wirkte etwas überrascht.
„Da
geht es zum Motel „French Lick“ bemerkte er mit belegter Stimme, während er sie
im Rückspiegel musterte.
Sie
schenkte ihm ein verführerisches Lächeln. „Ein passender Name. Findest du
nicht?“ In ihrer Stimme lag eine gewisse Herausforderung. „Ich hoffe unser
Zimmer ist noch frei“ flüsterte sie ihm leise ins Ohr und nahm zufrieden wahr,
wie sich seine Atmung beschleunigte.
Collin
Reeves verpasste seinem Wecker eine volle Breitseite, woraufhin dieser mit
einem klagenden Laut verstummte. Ärgerlich und noch im Halbschlaf drehte sich
Collin wieder auf seine Schlafseite und versuchte erneut ins Land der Träume
zurückzufinden, was ihm aber nicht so ganz gelingen wollte. Dieser bescheuerte
Wecker klingelte doch wirklich immer, wann es ihm passte und nicht um die Zeit,
auf die er programmiert war. Wie er diesen neumodischen Mist hasste. Früher war
man auch ohne digitale Funkanzeige ausgekommen und er konnte einfach nicht
verstehen, was sich großartig geändert haben sollte.
Allgemein
war die Welt in den letzten Jahren um einiges komplizierter geworden, aber das
traf auch auf sein Leben zu. Er stand kurz davor sich seine größte Sehnsucht
erfüllen zu können, aber zuvor stand ihm noch eine grausame Prüfung bevor: ein
Meeting im Büro von Dekanin Walsh. Man wollte ihm offiziell bei einem kleinen
Umtrunk zu seiner neuen Stelle beglückwünschen und ihm bei der Gelegenheit wohl
auch genauer auf den Zahn fühlen.
Aber
sollten sie es ruhig versuchen. Seine Geschichte war hieb- und stichfest.
Sein
letzter Gedanke bevor er erneut einschlief galt ihr. Ob sie wohl auch zu der
Feier eingeladen war?
Die
Strahlen der Mittagssonne schienen durch das kleine Fenster von Zimmer 107 und
wärmten Yellenas Rücken. Sie lag nackt auf dem Bett und sah ihrem Chauffeur zu,
wie dieser langsam seine Uniform auszog und ordentlich über einen der Sessel drapierte.
Sie
liebte es zuzusehen, wie er sich aus seiner Kleidung schälte und sein
gebräunter muskulöser Körper mit den perfekt definierten Muskeln zum Vorschein
kam.
Sein
Anblick erinnerte sie jedes Mal an einen griechischen Gott ,bei dem sie nicht
wusste, wo sie zuerst hinsehen sollte.
Wäre
Ben aus ihrer Gesellschaftsschicht würde sie nicht einen Augenblick zögern und
ihn anstelle dieses französischen Spießers heiraten, aber das Schicksal hatte
es nun einmal anders bestimmt. Zumindest redete sie es sich gerne ein. Die
Wahrheit war, dass sie in Benjamins Nähe sie selbst sein konnte. Er lies sie
Ihre Sorgen vergessen und nur drauf kam es ihr an.
„Komm
endlich ins Bett“, bettelte sie und rekelte sich lasziv um seine Aufmerksamkeit
zu erregen. Er beobachte aufmerksam jede ihrer Bewegungen und glitt dann neben
sie in die kühlen Laken. Behutsam strich er ihre lange Lockenmähne zur Seite
und begann vorsichtig ihren Nacken bis zu den Schulterblättern hinab zu küssen.
„Ich
liebe deine Haut“, flüstere er ihr ins Ohr. „Sie ist so weiß wie Milch.“
Mit
einer fließenden Bewegung drehte er sie zu sich herum. Spielerisch drückte er
ihren Körper mit seinem eigenen Gewicht in die Kissen und lächelte sie
verführerisch an. Ihre saphirblauen Augen erwiderten seinen Blick und er konnte
dem Drang nicht mehr wiederstehen sie zu küssen.
Später
konnte Yellena nicht mehr sagen, wer von ihnen die Initiative ergriffen hatte.
Sie hatte sich einfach fallen lassen und mit jeder Berührung waren ihre
Probleme weiter in den Hintergrund gerückt und für ein paar Stunden war sie dem
Himmel ein Stück näher gewesen.
Um
kurz vor achtzehn Uhr jagte eine schwarze Luxuskarosse durch das Eingangstor die
Auffahrt zur Peterson Hall hinauf. Die Sonne schien warm vom Himmel, weswegen
er auch beschlossen hatte, einen kleinen Spaziergang zu unternehmen. Das Quietschen
der Autoreifen hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Er rückte die Sonnenbrille
auf seiner Nase zurecht und beobachtete dann interessiert, wie ein ziemlich
schlampig gekleideter Fahrer im Eiltempo aus dem Wagen sprang um für seinen Fahrgast
die hintere Tür zu öffnen.
In diesem Augenblick sah er sie zum ersten Mal.
Sie
stieg anmutig aus dem Wagen und schenkte dem jungen Chauffeur ein
atemberaubendes Lächeln. Danach eilte sie auf die Stufen der Eingangshalle zu,
wurde aber im letzten Moment von einem Rufen zurückgehalten. Sie hatte ihre
Aktentasche im Wagen vergessen, die ihr der junge Mann nun brachte. Sie
lächelte ihn erneut an und ihre Hände berührten sich. Es waren nur Sekunden,
aber schlagartig wurde ihm klar, von was er da gerade Zeuge geworden war.
Heiße
Wut wallte in ihm auf und es kostete ihn seine ganze Willenskraft, seine Augen
von dem Geschehen abzuwenden und sich wieder auf seine eigenen Verpflichtungen
zu konzentrieren.
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